
Der zweifach promovierte André Temmler studierte Physik an der RWTH Aachen und arbeitete als wissenschaftlicher Projektleiter am Fraunhofer-Institut für Lasertechnik und dem Lehrstuhl für Lasertechnik der RWTH Aachen. Nach Abschluss seines Diploms und seiner Promotionen arbeitete er als Senior Scientist, Postdoc und Projektmanager an der RWTH Aachen. Seit April 2018 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Maschinenbau an der Tsinghua Universität in Peking.
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Herr Temmler, die RWTH Aachen und Tsinghua Universität haben ja schon seit vielen Jahren eine Kooperation, sowohl in Form des Doppel-Master-Programmes, als auch in Form von Kooperationsforschungsprojekten. Inzwischen beginnen die beiden Universitäten auch wissenschaftliches Personal auszutauschen. Sie sind einer der Vorreiter auf dieser Kooperationsebene. Was war Ihre persönliche Motivation, langfristig nach China zu gehen bzw. als Wissenschaftler an die Tsinghua Universität zu wechseln?
„Ich habe von 2002 bis Ende 2017, d.h. mehr als 15 Jahre am Fraunhofer ILT und an der RWTH Aachen erst als Hiwi, dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Promovend und noch weiter als Postdoc und Senior Scientist gearbeitet. Da war es mal Zeit für eine Veränderung. Eine wesentliche Motivation für mich war dabei, meinen Horizont sowohl in persönlicher als auch in kultureller und akademischer Sicht zu erweitern. Die Möglichkeit, an die Tsinghua Universität zu wechseln, war dafür perfekt. Die chinesische Kultur ist deutlich unterschiedlich zur deutschen und hat schon immer eine latente Faszination auf mich ausgestrahlt. Aus akademischer Sicht kann man feststellen, dass die Tsinghua Universität die führende Universität Chinas und darüber hinaus Asiens ist. Außerdem gehört sie zu den Top-Universitäten weltweit. Aus persönlicher und privater Sicht ist natürlich der Schritt von Aachen nach Peking ein besonderer und aufregender gewesen. So gerne ich auch im schönen Aachen gewohnt, gelebt und gearbeitet habe, hat es doch im Vergleich zu den Großstädten Deutschlands und darüber hinaus einen eher provinziellen Charakter. Da ist Peking mit ca. 15-20 Millionen Einwohnern und gleichzeitig als Hauptstadt Chinas, der aufstrebenden Weltmacht des 21. Jahrhunderts, eine andere Hausnummer von ganz besonderem Reiz.“
Was ist Ihnen besonders am Anfang in China aufgefallen und was hat Sie sogar überrascht?
„Eine der größten Auffälligkeiten für mich war, wie weit verbreitet in China bereits das bargeldlose Bezahlen ist. Dadurch ist der Gebrauch des Handys nicht nur weit verbreitet, sondern zum lebenswichtigen Bestandteil des Alltags geworden ist. Während ich in Deutschland immer mal wieder mein Handy zu Hause liegen gelassen habe, ist mir das in China noch nicht passiert. Insgesamt scheint mir der Umgang mit neuer Technologie in China entspannter zu sein. Er wird weniger kritisch gesehen.
Eine andere Überraschung ist mit Sicherheit der Grad der allgegenwärtigen Luftverschmutzung gewesen. Einerseits wurde ich mehrfach gewarnt, dass die Luftverschmutzung in Peking erheblich ist. Andererseits habe ich auch immer wieder gehört, dass sie sich in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Nach einem Jahr Peking kann ich für mich sagen, dass ich jetzt bei jedem Besuch in Deutschland die frische Luft, die wir nahezu unbegrenzt und wie selbstverständlich zur Verfügung haben, erst richtig zu schätzen weiß. Ebenso kann ich aber auch sehen, dass z.B. in Peking deutliche Anstrengungen unternommen werden, um die Luftqualität zu verbessern. Da kann man nur froh sein, dass die westlichen Industrienationen dieses Kapitel des Wandels vom Bauern- zum Industriestaat u.a. mit Nebenerscheinungen wie massiver Umweltverschmutzung schon weitgehend hinter sich haben. Im Bereich des CO2-Ausstoßes allerdings haben wir ebenso wie China noch großes Verbesserungspotenzial.“
Wussten Sie vorher schon, wie intensiv die beiden Länder in Ihrem Fachbereich zusammengearbeitet haben, z.B. in Forschungsprojekten, Workshops und Symposien? Gibt es solche Kooperation auch in der Industrie?
„Soweit ich weiß, ist die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China, insbesondere im Bereich der Ingenieurwissenschaften, eher überschaubar. Dieser Eindruck hat sich bei einem Treffen deutscher Wissenschaftler in der Deutschen Botschaft in Peking noch verstärkt. Von mehr als hundert Teilnehmern hatten neben mir vielleicht noch ein oder zwei andere Teilnehmer einen ingenieurwissenschaftlichen Hintergrund. Daher beschränke ich mich auf meine Erfahrung in der Zusammenarbeit von Tsinghua und RWTH. Auf dem Gebiet der Lehre, die einen wesentlichen Teil ausmacht, sind die RWTH Aachen und die Tsinghua Universität mit ihrem Doppel-Master-Programm ein sehr gutes Beispiel. Außerdem gibt es eine Reihe von bilateralen Kooperationsprojekten zwischen der RWTH und der Tsinghua. Als einer der Vorreiter in diesem Bereich hoffe ich, dass es im Rahmen von sino-deutschen Forschungsprojekten noch weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, auch Aachener, für mehr als nur einige Monate nach China zieht.“
Sicherlich haben beide Länder ihre Stärken und Schwächen. Wie können die deutschen und chinesischen Kooperationspartner voneinander lernen?
„Insbesondere China hat große Bemühungen unternommen, um im internationalen Vergleich in Schlüsseltechnologien aufzuholen, wie z.B. die „Made in China 2025“ oder die neuen Seidenstraße-Initiative zeigen. Lange Zeit ist es ja so gewesen, dass im Wesentlichen ein Know-how-Transfer von den westlichen Industrienationen in Richtung China stattgefunden hat. Aus meiner Sicht war dies auch genauso von China beabsichtigt und notwendig, da sonst ein Aufholen auf die führenden Nationen des Westens unmöglich gewesen wäre. Allerdings merken wir mittlerweile auch, dass dieses asymmetrische Verhältnis von China zum Westen im Wandel begriffen ist. In dieser Hinsicht muss man auch einfach anerkennen, dass China z.B. mit Huawei, Lenovo, Alibaba oder Tencent bereits Unternehmen in Zukunftsbranchen auf Weltklasseniveau hervorgebracht hat. In Deutschland sucht man zum Beispiel vergeblich nach einem Handyhersteller, Computerbauer oder Onlinehandelsplattform von Weltformat. Zwar ist Deutschland im Bereich des Automobilsektors und des Maschinenbaus immer noch internationale Weltspitze, allerdings bezweifle ich auch, dass dies in Zukunft ausreichen wird. Von der Dynamik, mit der sich China entwickelt, können wir somit auch in Deutschland lernen. Allerdings denke ich auch, dass sich das Verhältnis zwischen China und Deutschland in einem besonderen Spannungsfeld befindet und wir Wege erschließen müssen, um zu einer gleichberechtigten Partnerschaft zu gelangen, in der wir Wissen gemeinsam erarbeiten und nutzen können. Ich denke, dies ist eine notwendige Voraussetzung, um für beide Seiten grundsätzlich sicher zu stellen, dass eine Kooperation erfolgreich und von gegenseitigem Nutzen sein kann. Dabei bleibt allerdings abzuwarten bzw. müssen wir vielmehr ernsthaft testen, ob und wie eine solche gleichberechtigte Partnerschaft zwischen Deutschland und China überhaupt möglich sein kann. Nach meiner Einschätzung ist dabei insbesondere die akademische Forschungslandschaft ein fruchtbarer Bereich, um diese Zusammenarbeit intensiv zu testen und ggf. systematisch auszubauen.“
Sie haben schon Arbeitserfahrung sowohl an der RWTH als auch jetzt an der Tsinghua Universität. Welche Unterschiede gibt es Ihrer Erfahrung nach in der wissenschaftlichen Arbeit an den beiden Universitäten?
„Grundsätzlich denke ich, dass die Arbeit an Hochschulen ähnlich ist. Dabei ist die Tsinghua Universität meiner Einschätzung nach eher eine „klassische“ Universität, die einen deutlich größeren Schwerpunkt auf die akademische Forschung auch in Form von Veröffentlichungen legt. Ein hoher Drittmittelanteil wie z.B. bei der RWTH Aachen ist hier noch eher selten. Aber der Trend und der Wille zu einer engeren Verflechtung von Hochschullandschaft und Industrieunternehmen sind auch hier erkennbar. Und das versuche ich auch an der Tsinghua aktiv zu unterstützen.“
Sprache ist für die meisten ausländischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein wichtiges Thema, nicht nur bei der Arbeit, sondern auch im Alltagsleben. Ich nehme an, dass sich diese Frage für Sie wegen der internationalen Atmosphäre auf dem Campus eher weniger stellt, da man dort in jedem Fall Englisch verwenden kann, oder? Wie ist es in Ihrer Freizeit, empfinden Sie die Sprache außerhalb des Campus als problematisch?
„Also, ich glaube, dass es dort schon einen wesentlichen Unterschied zu deutschen oder westlichen Universitäten gibt, trotz der internationalen Atmosphäre auf dem Campus. Im Vergleich ist das Englischniveau, vor allem das Sprachvermögen und Hörverständnis, auch im akademischen Umfeld meist deutlich niedriger als z.B. in Deutschland. Darüber hinaus hängt es zusätzlich noch stark von der Altersgeneration ab und vor allem davon, ob die Person schon einmal für einen längeren Zeitraum im englischsprachigen Ausland war. Insgesamt war das Englischniveau, das ich hier angetroffen habe, auch schon sehr überraschend für mich. Wenn man allerdings umgekehrt dann als Europäer beginnt, Chinesisch zu lernen, merkt man auch schnell, wie unfair dieser Vergleich eigentlich ist. Während Deutsch und Englisch sprachlich stark verwandt sind, sind die Unterschiede zwischen Chinesisch und Deutsch oder Englisch wahrscheinlich so groß, wie er zwischen zwei Sprachen nur sein kann. Dies betrifft eigentlich alles, was eine Sprache ausmacht: Schriftzeichen, verwendete Laute und Lautsprache, Aussprache, Grammatik, kultureller Hintergrund. Gleichzeitig zieht es nur einen relativ kleinen Teil der Chinesen ins englischsprachige Ausland, so dass das erlernte Schulwissen oftmals nur wenig angewandt wird. Auch wenn es für mich extrem schwierig sein wird, Chinesisch auf einem akademischen Niveau zu beherrschen, ist es für mich selbstverständlich, dass ich zumindest so viel Chinesisch beherrsche, um mich im Alltag verständlich zu machen. Das sehe ich vor allem auch als Art des Respekts den Einheimischen gegenüber und würde ich ebenso von Menschen erwarten, die für mehrere Jahre nach Deutschland kommen. Allein der Versuch, in der Muttersprache des Gesprächspartners zu kommunizieren, öffnet einem schon oft Tür und Tor. Das konnte ich umgekehrt auch daran feststellen, dass meine Ansprechpartnerin hier an der Tsinghua für einige Zeit in Deutschland war. So Kleinigkeiten wie morgens ein „Guten Morgen“ zu hören oder selbst mit „zaoshang hao“ zu grüßen, macht manchmal schon einen deutlichen Unterschied. Naja, auch wenn meine Aussprache des Chinesischen wohl immer noch jedem Muttersprachler in den Ohren wehtut (lacht).“
Vielen Dank für das Gespräch.
DCHAN-Engineering-Alumnitreffen an der Tsinghua Universität Peking
Anfang Dezember 2018 richtete das DCHAN-Netzwerk für Ingenieurwesen seine erste internationale Veranstaltung an der Tsinghua Universität in Peking aus.
Fazit: Es fand ein fruchtbarer Austausch, sowohl auf der Forschungsebene, als auch zwischen Teilnehmenden und Absolventinnen und Absolventen des Tsinghua-RWTH Doppel-Master-Programms statt. Lesen Sie den Bericht (pdf, 1,07 MB).
DCHAN-Engineering Forscher-Alumni-Konferenz 2019: Erneuerbare Energie und E-Mobilität
Als zwei der größten Exportländer treiben China und Deutschland den Klimaschutz und den Übergang zu erneuerbaren Energien voran. Beide Länder sind daran interessiert, ihre leistungsstarken Industrien in diesem Bereich zu fördern. In der Automobilindustrie hat sich die bilaterale Zusammenarbeit beider Länder im Bereich der Elektromobilität in den letzten Jahren stark intensiviert.
Auf der Forscher-Alumni-Konferenz an der RWTH Aachen am 8. und 9. Juli 2019 diskutieren Experten aus Wissenschaft und Industrie über die neuesten Technologien und die Entwicklungstrends der erneuerbaren Energien und der Elektromobilität, insbesondere über aktuelle und zukünftige deutsch-chinesische Zusammenarbeit in diesen Bereichen.
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Archiv
DCHAN Abschlusspublikation
Die Abschlusspublikation des Begleitvorhabens beim DAAD gibt Einblicke in die Praxis fachlicher Kooperation deutscher und chinesischer Alumni von 2017 bis 2021. Sie können diese hier (pdf, 1,44 MB) herunterladen.