Tingni Xu, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Beraterin im Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen schildert im Interview mit Dr. Jizu Zhang (Projektkoordinator im Alumnifachnetz „DCHAN Engineering“) ihre Erfahrungen in der deutsch-chinesischen Wissenschaftskooperation.

Frau Xu profitiert von Studien- und Arbeitserfahrung in beiden Ländern; u. a. absolvierte sie das RWTH-Tsinghua Doppel-Master-Programm in Fahrzeugtechnik. Ihre erworbenen Kenntnisse vertieft sie derzeit im Rahmen ihrer Promotion an der RWTH Aachen in der Abteilung Fabrikplanung am Lehrstuhl Produktionssystematik. Ihren Fokus legte Frau Xu schon früh auf E-Mobilität; so entwickelte sie beispielsweise als Projektleiterin ein standardisiertes Prüfverfahren für die Batteriegenehmigung für den chinesischen und den deutschen Elektrofahrzeugmarkt. Nun spezialisiert sie sich auf moderne Fabrikplanung in Zeiten von Industrie 4.0.

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Liebe Frau Xu, Sie haben an dem RWTH-Tsinghua Doppel-Master-Programm teilgenommen und arbeiten jetzt an der RWTH Aachen als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Was war Ihre Motivation während Ihres Studiums nach Deutschland zu kommen und anschließend nach dem Studienabschluss an der Tsinghua wieder nach Deutschland zurückzukehren, um hier zu promovieren?

Während des Bachelorstudiums habe ich Fahrzeugtechnik studiert. Deutschland besitzt eine hochentwickelte Automobilindustrie und hat einen weltweit hervorragenden Ruf in seiner fortgeschrittenen Fahrzeugtechnik. Deswegen hatte ich damals einen starken Wunsch nach Deutschland zu kommen, um mein Fachwissen zu verstärken und meinen Horizont zu erweitern. Während des RWTH-Tsinghua Doppel-Master-Programms habe ich nicht nur informative Vorlesungen besucht, sondern auch ein Praktikum bei Porsche gemacht, einem der besten Sportwagenhersteller weltweit. Im Praktikum konnte ich meine erworbenen Kenntnisse anwenden und wertvolle Praxiserfahrungen sammeln.

Das praxisorientierte Bildungssystem, die Professionalität im Berufsumfeld und die ernsthafte und intensive, aber gleichzeitig auch entspannte und angenehme deutsche Wohnatmosphäre haben mein großes Interesse geweckt. Daher habe ich mich entschieden, nach dem Studienabschluss an der Tsinghua Universität wieder nach Deutschland zu kommen. Jetzt promoviere ich am Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen mit der Vertiefung Fabrikplanung. Ich freue mich darauf, spannende Themen im Bereich Industrie 4.0 mit zu erforschen und die Zukunft der Fabrik mit zu gestalten.

Was ist Ihnen am Anfang in Deutschland besonders aufgefallen?

Die gleichberechtigte Beziehung zwischen Professoren und Studierenden und die daraus folgenden offenen Diskussionen sind mir am Anfang in Deutschland besonders aufgefallen. Die deutschen Studierenden sind meistens sehr eigenständig und selbstbewusst. Sie äußern bereitwillig ihre Meinung. Das ist ein großer Unterschied zu China.

Wussten Sie vor Ihrem Aufenthalt in Deutschland, wie intensiv die beiden Länder in Ihrem Fachbereich zusammenarbeiten?

Vor meinem Aufenthalt in Deutschland waren mir nicht viele konkrete Beispiele der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit bekannt. Doch seit ich an der RWTH Aachen promoviere, bin ich wirklich aktiv in die deutsch-chinesische Zusammenarbeit involviert. Forschungsseitig habe ich mit meinen deutschen Kollegen ein vom BMBF gefördertes deutsch-chinesisches Verbundprojekt erfolgreich beantragt und durchgeführt. Industrieseitig habe ich meine Professoren bei verschiedenen Aktivitäten im Business Development auf dem Gebiet der E-Mobilität in China unterstützt. In meinem Fachbereich der smarten Produktion bestehen gute Kooperationsmöglichkeiten zwischen den beiden Ländern: China hat Vorteile in der IT-Technologie und bietet einen riesigen Markt mit zahlreichen Nutzungsszenarien; Deutschland hat Vorteile in den Produktionstechnologien und kann Innovation und Erfahrungen einbringen.

Natürlich haben beide Länder in einzelnen Gebieten eigene Stärken und Schwächen. Wie ergänzen sich aus Ihrer Sicht die deutschen und chinesischen Kooperationspartner?

In meinen Augen liegen die Stärken der deutschen Kooperationspartner vor allem in der langfristigen Planung und strukturierten Problemlösung. Die chinesischen Kooperationspartner sind hingegen hinsichtlich der Flexibilität und schnellen Umsetzung gut. Diese unterschiedlichen Eigenschaften können gemeinsam zu innovativen Konzepten und einer schnellen Verwirklichung des Projektzieles beitragen. Außerdem können deutsche Partner professionelle Erfahrungen aus bewährten industriellen Systemen in Deutschland einbringen und chinesische Partner können Sensibilität für den schnelllebigen chinesischen Markt beisteuern. Die deutschen und chinesischen Partner können sich gut ergänzen, um Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen.

Sie haben schon langjährige Studien- und Arbeitserfahrung sowohl an der Tsinghua Universität als auch an der RWTH Aachen, die jeweils zu den Spitzenuniversitäten in China und Deutschland gehören. Welche Unterschiede gibt es aus Ihrer Erfahrung im Studium und in der wissenschaftlichen Arbeit in beiden Ländern?

Während des Studiums und in der wissenschaftlichen Arbeit legen deutsche technische Universitäten Wert auf Praxisnähe und Anwendbarkeit, um geeigneten Nachwuchs für die Industrie auszubilden und dieses Wissen in die Industrie zu transferieren. So sind zum Beispiel Pflichtpraktika in der Industrie und von Firmen betreute externe Abschlussarbeiten Normalität im deutschen Bildungssystem. Im Gegensatz dazu sind an chinesischen Hochschulen Industriepraktika normalerweise nicht Pflicht und externe Abschlussarbeiten bei Firmen eher selten.

Die chinesischen Universitäten bemühen sich, die akademische Forschungsfähigkeit der Studierenden zu entwickeln, um den weltweiten akademischen Ruf der Universität auszubauen. Deshalb ist es kein Wunder, dass die chinesischen Studierenden bereits im Bachelorstudium Veröffentlichungen – teilweise in internationalen Journals – publizieren. Für Masteranden und Doktoranden in chinesischen Universitäten muss normalerweise eine bestimmte Anzahl und Qualität an Veröffentlichungen erfüllt werden. Das ist einer der Gründe, weshalb in China mehr Promovierende als in Deutschland eine akademische Laufbahn einschlagen. Zudem gibt es viel mehr Professorenstellen an chinesischen Universitäten als in Deutschland.

Die eigene Positionierung und Zielsetzung der Universität sowie die verschiedenen sozialen Bedürfnisse der beiden Länder bestimmen ganz wesentlich die Unterschiede zwischen chinesischen und deutschen Universitäten.

Frau Xu, wir danken Ihnen für das offene Gespräch und wünschen Ihnen für Ihren persönlichen wie beruflichen Weg an der RWTH Aachen und anderswo alles Gute!