Dr. Feng Qiang ist Mitglied des DCAPP Alumnifachnetzes für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Er arbeitet als Psychiater im Shanghai Pudong New Area Mental Health Center und hat sich freiwillig für den Einsatz in der medizinischen Versorgung in Wuhan gemeldet. Er leistete psychologische Hilfe in einem der 13 sogenannten Camping Hospitals in Wuhan, in dem Covid-19 Patientinnen und Patienten mit milden Verläufen behandelt wurden.

Nach seiner Rückkehr von Wuhan nach Shanghai im Frühjahr hat er dieses Interview gegeben. Hier berichtet er vom Alltag im provisorischen Krankenhaus und den Maßnahmen zur Bewältigung von psychischen Problemen der Patientinnen und Patienten. Im Gegensatz zu den Patientinnen und Patienten wurde psychologische Hilfe vom medizinischen Personal nur bedingt angenommen.

Lesen Sie hier das Interview

Wie lange dauerte Ihr Einsatz in Wuhan? Wie sahen die Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten aus? Gab es genügend Schutzausrüstung, um die Sicherheit des medizinischen Personals zu gewährleisten?

Ich habe vom 4. Februar bis 18. März 2020 in einem Camping Hospital in Wuhan gearbeitet. Das provisorische Krankenhaus wurde im Ausstellungszentrum „Wuhan Livingroom“ aufgebaut und kann mehr als 1.400 Patientinnen und Patienten aufnehmen. Darin wurden Isolationseinrichtungen und Betten eingerichtet. In unmittelbarer Nähe des Gebäudes wurden zusätzliche Aufenthaltszelte errichtet, in denen das medizinische Personal sich desinfiziert, umzieht sowie Mahlzeiten einnimmt. Alle zwei Tage habe ich sechs Stunden am Tag im Krankenhaus psychiatrische Hilfe geleistet. Die restliche Arbeitszeit habe ich draußen im Zelt gearbeitet und von dort aus Online-Therapien durchgeführt. Das medizinische Personal war mit Schutzkleidung, Gesichtsschutz, N95-Masken und Handschuhen als Arbeitsschutzmaßnahmen gut ausgerüstet.

Wie viele Patientinnen und Patienten wurden in dem Krankenhaus behandelt und wie viele haben davon eine psychologische Beratung in Anspruch genommen? Wurde neben den Patientinnen und Patienten auch das medizinische Personal psychologisch betreut?

Das provisorische Krankenhaus hat anfangs mehr als 1.700 Patientinnen und Patienten aufgenommen. Nach einem Monat waren ungefähr 1.400 Patientinnen und Patienten in der Isolation. Ungefähr 10% benötigten eine psychologische Intervention. Ärzte haben für sich selbst kaum psychologische Hilfe angenommen. Einzelne Krankenschwestern haben Beratungsgespräche in Anspruch genommen.

Forderten die Patientinnen und Patienten von sich aus psychologische Beratung ein oder wurden sie von den Ärzten überwiesen?

Einige Patientinnen und Patienten haben sich aktiv Hilfe durch das psychologische Beratungsangebot geholt. Der Großteil der Patientinnen und Patienten wurde jedoch von Ärztinnen und Ärzten und dem Pflegepersonal überwiesen. Hinweise auf unser Beratungsangebot wurden auch in der Online-Chatgruppe der Patientinnen und Patienten im WeChat-Messenger gepostet. In diesen Fällen haben wir die Patientinnen und Patienten dann besucht und ihnen die Beratung angeboten.

Welche Arten an Interventionen wurden eingesetzt und wie häufig haben psychologische Gespräche pro Patientin oder Patient stattgefunden?

Die wichtigsten Interventionsmethoden waren Aufklärung, Psychoedukation, Krisenintervention, Entspannungsübungen und psychotherapeutische Gespräche. Die Interventionsdauer variierte zwischen 20 und 50 Minuten. Bei Patientinnen und Patienten, die mit der gesamten Familie ins Krankenhaus kamen, wurde ein kurzes Familieninterview durchgeführt. Für Patientinnen und Patienten, die sich in einer akuten Krise befanden, wurde jeden Tag ein persönliches Gespräch mit dem anwesenden Psychiater angeboten. Bei Bedarf konnte auch jederzeit die Hotline angerufen werden, um mit einem der Psychiater zu sprechen. Bei Patientinnen und Patienten mit weniger akuten Angstzuständen, Depressionen und Schlafstörungen wurde alle drei Tage ein Beratungsgespräch durchgeführt. Während des gesamten Krankenhausaufenthaltes wurden im Durchschnitt pro Patientin oder Patient fünf bis sechs Interventionen durchgeführt. Nach der Entlassung erhielten die Patientinnen und Patienten die Möglichkeit zur weiterführenden Kontaktaufnahme mit den Ärztinnen und Ärzten per WeChat oder Telefon.

Welche Medien kamen in Ihrer psychologischen Arbeit zum Einsatz (Smartphone, Apps, Telefon, schriftliches Informationsmaterial)?

Die psychologischen Interventionen wurden über Videoanrufe per Smartphone, WeChat-Anrufe, Podcasts, Plakate und Telefonhotlines durchgeführt.

Wie wurden die Interventionen von den Patientinnen und Patienten, den Ärztinnen und Ärzten und dem Pflegepersonal aufgenommen?

Die meisten Patientinnen und Patienten waren gewillt, psychologische Interventionen in Anspruch zu nehmen. Eine kleine Anzahl von Patientinnen und Patienten, die ihre Familienmitglieder verloren haben, zeigten beim ersten Treffen Widerstand gegenüber einer psychologischen Intervention. Nachdem eine gute und sichere Arzt-Patient-Beziehung mit diesen aufgebaut wurde, akzeptierten auch sie die psychologische Hilfe. Psychologische Interventionen haben wenig Akzeptanz unter dem ärztlichen Personal gefunden. Wahrscheinlich würden psychologische Interventionen in einem Gruppenformat wie einer Balint-Gruppe oder Gruppenspielen eine höhere Akzeptanz in dieser Personengruppe finden. Krankenschwestern und Krankenpfleger waren offener für die individuelle psychologische Beratung.

Wurden Trainings in psychosomatischer Grundversorgung für das medizinische Personal angeboten?

Das Pflegepersonal erhielt ein Basistraining in psychosomatischer Medizin in Form von Online-Vorträgen sowie schriftliches Informationsmaterial zum Selbststudium. Der Inhalt dieses Basistrainings umfasst den Beziehungsaufbau zwischen Arzt und Patient, Kommunikationsfähigkeiten und das Erkennen allgemeiner psychischer und psychiatrischer Probleme.

Wollen Sie zum Schluss noch einige Sätze zu Ihrem persönlichen Befinden, Ihren Ängsten und Wünschen schreiben?

Mir geht es gesundheitlich gut. Ich habe gerade zwei Wochen Quarantäne beendet und bin vom Hotel nach Hause zurückgekehrt. Ich habe das Gefühl, dass diese Epidemie sehr plötzlich ausbrach. Viele Menschen sind vom Coronavirus betroffen. Die Bevölkerung in Wuhan wurde stark getroffen, einschließlich des örtlichen medizinischen Personals in Wuhan. Besonders in der Anfangsphase der Epidemie war der Druck enorm. Daher bin ich der Meinung, dass die psychologische Rehabilitation langfristig eine große Aufgabe sein wird. Anfangs hatte auch ich große Angst vor dem Virus. Ich hatte das Gefühl, jederzeit infiziert werden zu können. Meine Angst verringerte sich, nachdem ich mehr über das Virus gelernt hatte und erkannt habe, dass die Krankenhäuser sich mit vielen Schutzmaßnahmen ausgerüstet haben. Mein Wunsch ist es, dass die Epidemie schnell unter Kontrolle kommt und wir wieder ohne Schutzmasken frei sprechen können.

Welche weiteren Themen würden Sie gerne thematisieren?

Nach der Epidemie sollte mehr Aufmerksamkeit auf die Themen Trauma und Trauer gerichtet werden. Die Anzahl der Patientinnen und Patienten mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung wird zunehmen. Daher wird eine langfristige Behandlung wichtig sein.

Das Interview wurde im Frühjahr 2020 geführt.

Die weiteren Aktivitäten des Fachnetzes

Gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen des Wuhan Mental Health Centers haben deutsche und chinesische Projektpartnerinnen und -partner ein Buch zum Thema „Krisenbewältigung in der Corona-Krise“ geschrieben, das voraussichtlich Ende 2020 in China erscheinen wird.

Weiterhin ist die bilaterale Forschungsstudie „COPE-Corona“ angelaufen:  Teilnehmende sind Angestellte in Krankenhäusern in Deutschland und China. Ziel dieses klinischen Begleitforschungsprojektes ist es, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sowohl mit der Krankenversorgung betraut sind, als auch die Beschäftigten der Verwaltung zu ihren Ressourcen und Bewältigungsstrategien zu befragen.